Compliance – Ein Schlagwort mit komplexem Inhalt

Wenn man sich im Medizinischen mit dem Wort Compliance beschäftigt, trifft man zuerst auf die gängige Definition: "Compliance ist die Bereitschaft des Patienten zur Einhaltung fachlicher Empfehlungen, die sogenannte Therapietreue."

Compliance setzt die Einsicht, das Einverständnis, die Kooperationsbereitschaft und auch die Motivation des Patienten zur Mitarbeit voraus. Sie bestimmt ganz wesentlich den Behandlungserfolg. Die Bestärkung des Patienten, mit seiner Erkrankung und den sich daraus ergebenden Einschränkungen im physischen, psychischen und sozialen Bereich umzugehen sowie eigenverantwortlich Entscheidungen für die Gesundheit treffen zu können, spielt hierbei eine zentrale Rolle. Diese Bestärkung des Patienten wird auch als Empowerment bezeichnet.

Wichtige Faktoren

Jeder, der als Therapeut am und mit Menschen tätig ist, kennt eine Vielzahl von Faktoren, die das Erreichen der gesteckten Therapieziele fördern, behindern oder unmöglich machen können. Im Praxisalltag begegnen wir Menschen mit unterschiedlichen Grundhaltungen und Ressourcen.
Diese haben starken Einfluss darauf, wie gut jeder Einzelne in der Lage ist, seine Gesundheit und sein Wohlbefinden zu erhalten. Je höher dieses Kohärenzgefühl* einer Person ist, desto größer ist der positive Einfluss auf die Gesundheit. Das Kohärenzgefühl hat eine starke Auswirkung auf die Compliance des Patienten. Es wird besonders beeinflusst durch:

  • Körperliche und psychische Faktoren
  • Bewältigungsstrategien
  • Genetik und Erziehung
  • Positive Grundhaltung
  • Soziale Unterstützung durch Familie, Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen
  • Finanzielle Möglichkeiten


Bedingt durch diese Faktoren versteht sich Gesundheit nicht als Zustand, sondern als fortdauernder Prozess. Die individuelle Entwicklung und den jeweiligen Erhaltungsprozess von Gesundheit kennt man auch als Salutogenese*.
Salutogenese ist als Entstehung und Erhalt der Gesundheit zu verstehen. Das meist bekanntere Gegenteil bezeichnet die Pathogenese, also die Entstehung und Behandlung von Krankheiten. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse sind Begriffe wie Motivation, Eigenverantwortung, Bereitschaft, Einschränkungen, Entscheidungen und Compliance in der Praxis allgegenwärtig.

*nach Aaron Antonovsky, Medizinsoziologe

Mehr Compliance für mehr Erfolg

Wie lässt sich nun auf einige dieser Faktoren Einfluss nehmen? Welche Gründe führen bei einem Menschen dazu, etwas an seinem Verhalten zu verändern? Nur selten tun wir etwas, weil es uns jemand empfohlen hat. Insbesondere dann, wenn es um Verhaltensänderungen geht. Vielmehr ist es die innere Motivation, die uns dazu bewegt, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wichtig: Die Motivation kommt immer aus dem Inneren des Menschen und nicht von außen. Dennoch können Anregungen von außen in die eigenen Handlungspläne einbezogen werden.

Im Wesentlichen muss man zwei Gruppen unterscheiden: Die akut kranken und die chronisch kranken Patienten. Langwierige Erkrankungen und zurückliegende Therapieerfahrungen stellen bei chronisch Kranken in Bezug auf die Compliance einen besonders hohen Anspruch an das Patientengespräch. In diesen Fällen kommen zusätzlich psychologische Prozesse als hemmende Bedingungen für eine gute Therapie hinzu.
Entscheidend für die entsprechende Grundmotivation ist auch der Leidensdruck. Die Quantität und Qualität von Schmerzen wird dabei grundsätzlich sehr individuell wahrgenommen und bewertet. Ein gängiger Satz bei Neuropathikern lautet: "Es tut ja nicht weh." So bleibt die Tür für mögliche prophylaktische und therapeutische Wege erst einmal verschlossen. Verminderte Körperempfindungen können die bereits vorhandene Nichtbeachtung weiter verstärken. Die Entwicklung der Erkrankung ist für den Patienten schwer vorstellbar und liegt subjektiv in weiter Ferne – denn es ist ja bisher alles gut gegangen. Die Amputation ist oftmals die einzige konkrete Vorstellung von Schäden und mit starker Angst verbunden. Als Folge wird dieser Gedanke verdrängt. Jeder Behandler sollte sich daher die Frage stellen, wie es auf der Seite des Betroffenen aussieht. Welche Gefühle und Gedanken hat er in Bezug auf seine erkrankten Füße?
Die folgenden Fragen an den Patienten können hilfreich sein und eine gute und vertrauensvolle Beratungsbeziehung fördern:

  • Womit haben Sie bisher gute Erfahrungen gemacht?
  • Womit haben Sie schlechte Erfahrungen gemacht?
  • Was ist Ihnen bei der Behandlung wichtig?
  • Was fürchten Sie am meisten?
  • Wie kann ich Ihnen helfen, was möchten Sie von mir wissen?
  • Womit haben Sie Schwierigkeiten, was erwarten Sie dabei von mir?


Der Aufbau einer vertrauensvollen partnerschaftlichen Beziehung ohne Manipulation und Machtkämpfe ist die Basis für langfristige und erfolgreiche Behandlungen. Zu Beginn sollten Sie dafür genügend Zeit einplanen – es lohnt sich für beide Seiten!

Im Empowerment-Ansatz für die Arzt-Patient-Beziehung wurden verschiedene Wege zur Beziehungspflege entwickelt. Eine Möglichkeit besteht darin, den Patienten einzubeziehen und ihn zu bitten, eigene Vorschläge einzubringen. In der Praxis kann der Behandler dies mit Hilfe einer geschickten Gesprächsführung erreichen. Er kann zum Beispiel den Patienten bitten, seine eigenen Vorstellungen zu äußern, welche Maßnahmen durchführbar sind und welche Hilfe nötig sein könnte. Er kann den Patienten motivieren, eigene Ideen einzubringen, die dem gemeinsamen Therapieziel dienen und ihm die Möglichkeit geben, Ansätze für eine Regelmäßigkeit bestimmter Maßnahmen selbst vorzuschlagen.

Voraussetzungen für offene und lebendige Gespräche aus Sicht des Patienten:

  • Verständliche sprachliche Kommunikation auf Augenhöhe
  • Vertrauen zum Behandler
  • Verlässlichkeit: Einhalten von Absprachen und Terminen
  • Würdigung der fachlichen Kompetenz des Behandlers
  • Positive Behandlungsergebnisse
  • Überschaubarer, für den Patienten akzeptabler finanzieller und zeitlicher Aufwand


Zu den Faktoren, die aus Patientensicht die Compliance fördern können, gehört auch eine gute Erreichbarkeit der Praxis und die Verfügbarkeit einer Vielzahl an therapeutischen Mitteln direkt in der Praxis. Zusätzliche Wege erschweren das Beschaffen entsprechender Therapeutika oder führen dazu, dass diese wegen mangelnder Mobilität oder Zeit nicht genutzt werden. Auch wenn die Therapie dem Patienten zu kompliziert erscheint und kaum in den Alltag integriert werden kann, führt dies zu einer Verringerung der Compliance. Letztlich ist es auch Aufgabe des Behandlers, Bemühungen des Patienten anzuerkennen und zu würdigen. Einfache Verhaltensänderungen sind oftmals kleine Schritte in die richtige Richtung und erfordern positive Bestätigung. Das individuelle Eingehen auf den Patienten führt im Ergebnis dazu, dass gemeinsam ein realisierbares Behandlungskonzept erarbeitet wird. Ziel des Patienten sollte es sein, die Füße so lange wie möglich zu erhalten und damit einen entscheidenden Beitrag für die eigene Selbstständigkeit und Mobilität zu leisten.

Zum Abschluss stellt sich noch die Frage: Wie gehe ich als Therapeut damit um, wenn meine Erklärungsversuche trotz aller Bemühungen ins Leere gehen? Mein Grundsatz lautet: "Ich bin nicht für den Patienten verantwortlich, sondern lediglich für eine gute Behandlung und alle damit verbundenen Tätigkeiten." Für sich selbst als Therapeut Grenzen zu setzen, ist eine der wichtigsten Grundlagen, um dauerhaft medizinisch tätig sein zu können. Über das entsprechende Maß der Compliance darf der Patient entscheiden und trägt die Konsequenzen mit all den dazugehörigen Folgen selbst.

Autorin:
Christina Schäfer-Thaler
Podologin und Heilpraktikerin

Passende Produkte